JOLENE
"Antic Ocean"

Blue Rose Records

Irgendwann kurz nach Weihnachten '99 rief  ich Dave Burris an, den Gitarristen von Jolene, und drängte darauf zu wissen, was mit der Band los sei. Ich wusste, dass sie eine erfolgreiche Tour durch Großbritannien gemacht hatten, aber keine konkreten Neuigkeiten sonst waren zu mir durchgedrungen.. Er schrieb es mir ungefähr so:

"Als wir endlich zu unserer Zufriedenheit aus dem Vertrag mit Sire herausgekommen waren (und einem neuem Album in der Hinterhand), war es, als wenn wir eine Hauptstraße überquert haben, wobei ein ganz leichter Windzug durch unser Haar geweht ist und wir beim Umdrehen gesehen haben, dass uns ein riesiger Bus nur äußerst knapp verfehlt hatte. Wir hatten unheimlich Glück, aber wir stehen noch auf unseren Füßen mit keinerlei Verletzungen. Etwas erschrocken vielleicht..."

Und dann sagte er:
"Ich muss gehen, mein Neffe ist hier und ich muss aufpassen, dass er meine Rickenbacker nicht ins Feuer wirft."

Ich war beruhigt. Allerdings wusste ich immer noch nicht, wann es ein neues Album geben würde. Wenn es überhaupt eines geben sollte.

Für diejenigen unter uns, die sich mit solchen Gedanken beschäftigen, war es schon eine Frage, welche Auswirkungen die Sache mit Sire Records auf Jolene haben würde. Wir waren nicht geduldig genug, um eine weitere Majorlabel-Dummheit abzuwarten. 1996 wurde uns auf Ardent Records der jetzige Klassiker Hell's Half Acre gegeben, und 1998 bekamen wir das mächtige, dunkle Meisterwerk In the Gloaming präsentiert. Das Jahr 2000 nahte, und eine Menge Leute begannen um Jolene zu bangen. Ich sah Sänger und Gitarrist John Crooke hier in New Orleans zwischen den Jahren und er klärte mich auf - die Unterhaltung lief in etwa so:

John: "Es wird im Frühjahr ein neues Jolene-Album geben und es wird Antic Ocean heißen."
Ich: "Gott sei Dank."
John: "Möchtest du unsere Biografie schreiben?"
Ich: "Aber ich bin Dichter, kein Musikjournalist!"
John: "Na und?"

Typisch John Crooke. Er ist ein Mann, der die Dinge genauso angeht wie er es will. Er lässt sich in nichts reinreden, und das ist gut so, denn sonst würden wir wahrscheinlich ein Album bekommen, das wegen der Vorstellungen und Einmischungen eines Major-Labels auf der so idiotischen Suche nach "der Single" vergewaltigt und saft- und kraftlos geworden wäre. So haben wir ein Album bekommen, das fast komplett von Crooke und Burris produziert wurde, nur unter der Mithilfe ihrer langjährigen Freunde und Wegbegleiter Jamie Hoover und Jeff Powell. Es ist ohne Zweifel mit Abstand das Beste, was sie bisher veröffentlicht haben. Was schon was heißen will.

Zum erstenmal in Kontakt mit der Band kam ich beim Mardi gras 1995. Sie war gerade im "Tipitina's" aufgetreten, und aufgrund der Professionalität und Leidenschaft konnte ich kaum glauben, dass es erst ihr vierter Auftritt überhaupt war. John und Dave sind Cousins und hatten bereits im Vorjahr als Produzenten zusammen gearbeitet. Sie hatten beschlossen, eine Band zu gründen, und so brachte John seine ehemaligen Bandkollegen in die Gruppe, Schlagzeuger Mike Kenerley und Bassist Michael Mitschele (bekannt unter dem Namen Little Mike and Big Mike). Dave brachte Pedal Steel-, Mandolinen- und Slide Guitar-As Bill Ladd (1997 ersetzt durch Multiinstrumentalist Rodney Lanier) hinzu. Jolene war meiner Meinung nach genau hier geboren, direkt an der Ecke Napoleon und Tchopitoulas bei einer leichten Winterbrise, die vom Mississippi herauf kam. Hat das Jolene beeinflusst, wie sie sich entwickeln würden? Ich glaube schon. Ich habe John und Dave belauscht, wie sie sich stundenlang über des weitere Vorgehen unterhielten. Und wisst ihr was? Sie brachten es mit Antic Ocean auf den Punkt.

Einmal gehört und ich war fassungslos. Antic Ocean ist gleichzeitig ein Fortschritt und ein Abgesang. Es rockt gleichzeitig härter wie es noch schöner und leidenschaftlicher in den ruhigen Passagen wirkt als alles, was sie bis dahin gemacht hatten. Die Höhen und Tiefen auf diesem Album machen mich atemlos. John und Dave's Songwriting ist noch besser geworden. Antic Ocean ist eine Traumvorstellung, die zu einem wirklichen körperlichen Schmerz führt. Die Auftritte der Band und Gastmusiker (Peter Holsapple, Vicki Peterson und Susan Cowsill von den Continental Drifters, Ashen Keilyn von Scout und anderen) sind lebendig, kraftvoll und bestimmt, wenn sie es sein sollen und unterdrückt, heiter und egennützig, wenn es erforderlich ist. Das Ergebnis ist ein Werk von purer Schönheit. Nachdem ich das Album zum ersten Mal gehört hatte, hatte ich das gleiche Gefühl wie damals, als ich Dr. Schiwago erstmals gesehen hatte... völlig herzzerreissend.

Das Album enthält 13 Eigenkompositionen und eine sehr aufschlussreiche Version von sandy Denny's "Joh the Gun". Was so aufschlussreich ist ist etwas, was ich bei den ersten beiden Alben vermisste oder hoffnungslos unverständlich war: Es ist die tiefe Verbundenheit zum englischen und keltischen Folkrock. Nachdem ich in Cork aufgewachsen war, war diese Erkenntnis für mich aufregend und eine Ehre zugleich. Wie es auch für die Band sein sollte, waren doch bei dem schicksalshaften Gespräch ausserhalb des "Tipitina's" fünf Jahre zuvor auch Namen wie Led Zeppelin (die bewegenden, akustischen Stücke), Nick Drake, Fairport Convention und (ja, ein Amerikaner, aber dennoch ein gültiges Beispiel) Tim Buckley gefallen. Hört euch das Album in aller Ruhe an und ihr werdet es feststellen. Und dennoch ist alles Jolene.

Dies sollte jedoch eine Biografie über die Band sein, also lasst mich etwas aufklären - Jolene's geistige Heimat mag zwar New Orleans sein, aber die Mitglieder sind durch und durch North Carolinians. Vier der fünf Musiker leben in Charlotte, und alle fünf sind in North Carolina aufgewachsen. Das hält mich und eine große Anzahl der Bewohner von New Orleans jedoch nicht davon ab, die Band als eine von uns anzusehen.

Was gibt es sonst noch zu sagen? Sie sind Jolene. Sie sind ausgereifter als Band, besser geworden als Songschreiber und trotzen dem Sturm, indem sie ein Werk von eingebungsvoller Schönheit geschaffen haben - Antic Ocean.

Hört es euch an und seid inspiriert.

(Vielleicht kann ich nach einigen weiteren Durchläufen meinen Roman fertig schreiben...)

Conor MacNeice
New Orleans, February 2, 2000
 

Blue Rose Records
www.bluerose-records.com
 

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