Jay Farrar Interview December 1, 2003 Sinkkasten - Frankfurt, Germany |
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Jay, du bist ein seltener Gast in Deutschland. Woran liegt das? Ja, es scheint ich kriege das nur alle fünf bis sechs Jahre einmal hin. Ich war mit Uncle Tupelo mal hier, dann mit Son Volt und eben jetzt erst wieder. In Großbritannien haben wir immer mal wieder gespielt, und das wurde dort dann auch mit der Zeit einfacher eine ordentliche Tour zusammenzustellen, weil man Erfahrungen gemacht hatte. Selbst in Norwegen waren wir unterwegs, aber mit Deutschland haben wir das irgendwie nicht geregelt bekommen. Worauf freust du dich am meisten, wenn du in Europa unterwegs bist? Ich mag es 100 Meilen/Std fahren zu können. Das ist schon ein tolles Gefühl. Und natürlich ist das Essen klasse. Selbst wenn du dir was in einer Tankstelle käufst, dann ist das noch tausendmal besser als in einem Spitzenrestaurant zuhause in den Staaten. Mittlerweile bist du ja verheiratet und auch Vater zweier Kinder. Macht dir das Touren da überhaupt noch Spaß und inwiefern inspiriert dich das Unterwegssein als Künstler? Ja, ich mag es unterwegs sein zu können und es ist auf jeden Fall inspirierend. Ich schreibe zwar keine Songs während ich auf Tour bin, aber ich sammle dabei genug Eindrücke und Erlebnisse und nehme sie mit nach Hause, wo ich dann die Songs zusammenstricke. Es ist eine gute Arbeit um die Balance wieder zu finden um sich direkt nach der Tour zuhause wieder einleben zu können. Das ist enorm wichtig für mich das ich mit dem Schreiben und Aufnehmen etwas zu tun habe. Das bedeutet das es dir nicht leicht fällt, nach einer erlebnisreichen Tournee wieder runterzukommen? Es ist verdammt hart, denn du fällst von einem Extrem ins andere....das ist nicht leicht. Wovon lässt du dich außerdem noch für dein Songwriting inspirieren? Das kann alles mögliche sein. Beobachtungen von Unterwegs, von meiner Umgebung zu Hause, von einem Buch das ich lese, persönliche Dinge die mir wiederfahren sind oder in meinem Bekanntenkreis passieren.....da gibt es so vieles. Du bist jedenfalls nicht der typische Songwriter der sich hinsetzt und nur über sein ganz persönliches Leben und Leiden schreibt. Nein, da hast du recht. Ich versuche mich da schon bewusst anderen Geschichten zu nähern und die zu Papier zu bringen. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, die wirklich gar nichts mit mir persönlich zu tun haben die aber meine Gedanken irgendwie beflügeln und damit die Ideen zu Songs liefern. Für mich sind viele deiner Songs perfekte Soundtracks um sich ganz klischeehaft auf die endlosen Highways Amerikas zu träumen, die Nächte in billigen Motels zu verbringen und am Morgen in einem klassischen Diner ein fettes Rührei zu verschlingen, während die Gedanken einer "bad love story" nachhängen. Kannst du mit dieser Assoziation was anfangen? Absolut. Es ist also nicht zu europäisch gedacht? Nein, keineswegs. Ich denke für jeden Amerikaner ist die großartige Weite der Landschaft, die Natur an sich ebenso beeindruckend, und das assoiziert man durchaus mit Highways und Motels, die sozusagen zu Oasen in dieser mystischen Weite werden. Das geht mir nicht anders. In Europa habe ich so etwas ähnliches eigentlich nur in Spanien gefunden. Dort hast du auch diese weite, offene Landschaft. Jay, nächstes Jahr tourst du mit Canyon als Backing Band, einer vielversprechenden jungen Countryrockband, die auf ihrer Platte tradionellen Country mit WestCoast und Psychdelica verknüpft hat. Versprichst du dir davon auch eine Veränderung deines Sounds.... Ich war schon mit den Jungs unterwegs, aber im Januar werden wir noch mal zusammen entlang der Westküste touren. Es gibt in ihrer Musik sehr viel was mit meiner übereinstimmt, in so fern ergänzen wir uns sehr gut und ich freue mich auch schon darauf, wenn wir das fortsetzen. Es sind halt sehr viel mehr Instrumente dabei, wir stehen ja zu sechst auf der Bühne und es wirkt wie ein Peitschenschlag auf meine Songs. Das ist natürlich ein interessanter musikalischer Aspekt für mich. Klingt es anders als wie mit Son Volt? Ja, der Sound ist voller und sie benutzen andere Instrumente. Sie haben ein Keyboard dabei und die Gitarristen verwenden eine Menge Effekte. Ja, das klingt schon anders. Es ist halt sehr interessant wenn du mal Solo, mal als Duo, wie auf dieser Tour, und dann wieder mit einer Band spielen kannst. Das macht es einfach nie langweilig. Mit der Musik zu dem Film "The Slaughter Rule" hast du neues musikalisches Terrain betreten, neben einem Song besteht der Soundtrack aus instrumentalen Fragmenten. Wie kam man auf dich für diese Arbeit an der Filmmusik? Nun, Alexander Smith, der Regisseur des Films, der auch das Drehbuch dazu geschrieben hatte rief mich eines Tages an und fragte mich ob ich Interesse hätte. Und nachdem ich das Drehbuch gelesen hatte fand ich es interessant, dafür die Musik schreiben zu können. Wie kann man sich die Arbeit vorstellen. Hast du den Score direkt unter dem Einfluß der Filmszenen geschrieben, ähnlich Neil Young bei Dead man? Nein, es kam mir sehr entgegen, das ich mich eben nicht hinsetzen musste um zu dem fertigen Film die Musik zu schreiben, sondern ich konnte nach und nach anhand des Drehbuchs und während der Dreharbeiten die Musik komponieren. Möglicherweise ist es aber die coolere Variante, so wie es Neil gemacht hat.... |
Vor nicht allzu langer Zeit trafen sich Künstler mit Vertretern von Plattenfirmen und den Medien um über die Situation der alternativen Countrymusik zu diskutieren. Dabei kamen sie u.a. zu dem Ergebnis, das dies eines der wenigen, immer noch wachsenden Genres wäre. Lockt da nicht ein Ausverkauf und wie denkst du grundsätzlich über solche Sachen, z.B. überhaupt diese Trennung von Country und Alt. Country? Das ist mir gar nicht bewusst, das diese Musik sich so gut verkaufen lässt (lacht). Mir sind diese Kategorien nicht wichtig, denn dahinter verbergen sich doch nur Verkaufsstrategien um ein Produkt besser vermarkten zu können. Es sagt nicht wirklich etwas über die Musik aus und über die Nähe zu einem anderen Künstler den man in den selben Topf wirft. Andererseits verstehe ich es schon wenn jemand dieses Schubladendenken braucht um sich zurechtzufinden auf der Suche nach Musik die ihm gefallen könnte. Ich persönlich möchte meine Musik aber nicht als Alternative Country bezeichnen. Als was siehst du dich selbst? Ich mache Musik. Songwriter ist ok. Hier in Deutschland ist es allerdings wichtig solche Grenzen zu ziehen. Mit Countrymusik assoizierte man all die Jahre nur Bierzeltatmosphäre, Truckertreffen und unsägliche Gruppen die versuchten ein Cowboyfeeling auf die Bühne zu zaubern, das an Karneval erinnerte. In den USA hast du die gleiche Situation. Die ganze kommerzielle Countrymusik, die in Nashville produziert wird, hat nichts anderes im Sinn als Geld zu machen. Es genügt nicht einfach eine Pedal Steel erklingen zu lassen und das ganze dann als Country zu bezeichnen. So etwas ärgert mich. Hast du von dem Cracker Projekt gehört? Yeah, die "Ironic mullets". Aber ich glaube die Leute haben nicht verstanden um was es Cracker dabei eigentlich ging, nämlich die Wurzeln der Countrymusik aufzuzeigen. More power to them! Wie erklärst du dir den momentanen Boom von Country und Folk abseits des Mainstream. Durch diese AntiFolkbewegung aus New York und durch Punk/Emocore Musiker wie Conor Oberst, Kevin Devine, Kristopher Aström oder Onlinedrawing, die ihre sanfte Seite auf feinen Akkustikplatten aufzeigen hat der Sound ja sogar eine richtige Punkattitüde bekommen, ähnlich wie damals bei euch mit Uncle Tupelo.... Ich denke das ist eine ganz natürliche Entwicklung. Erst mal beginnst du in einer Rockband, aber als Künstler entwickelst du dich weiter, du durchlebst Phasen voll unterschiedlichster Emotionen und suchst einen Weg dich ausdrücken zu können. Glaubst du das durch diese jungen Musiker auch ein jüngeres Publikum verstärkt an diese Musik herangeführt wird? Ich glaube kaum. Die meisten jungen Leute wollen das nicht hören, sie wollen sich bewegen, wollen tanzen und Party machen. Aber was hast du in jungen Jahren Interessantes in der Countrymusik gefunden? Ich weiß nicht, mich hat diese traditionelle Countrymusik einfach angesprochen, Leute wie Hank Williams, Buck Owens oder Merle Haggard. Das war eben aufrichtiger als dieser ganze Nashville Pop, der den ganzen Tag im Radio lief und der mich nur nervte. Mittlerweile interessieren mich aber andere Musikstile mehr, wie etwa Blues, obwohl natürlich Einflüsse von Country auch weiterhin Teil meiner Musik sind. Uncle Tupelo gelten als die Väter des Alt. Country und gaben einem ganzen Genre seinen Namen. Während Jeff Tweedy nach dem Split eine gänzlich andere, poppigere Richtung eingeschlagen hat, bist du weniger radikal. Was ist deine Vision als Künstler? Ja, Jeff war schon immer gut darin, Popsongs zu schreiben. Das hat sich schon zum Ende von Uncle Tupelo herauskristallisiert. Ich getraute mich dann nicht Songs in die ähnliche Richtung zu schreiben, weil ich das Gefühl hatte es ist sein Territorium und ich sei darin nicht gut genug. Erst nach dem Ende der Band, wo ich auf niemanden mehr Rücksicht nehmen musste verlor sich diese Scheu. Das war ein gutes Gefühl. Meine Hauptmotivation als Künstler liegt einfach darin, Songs zu schreiben, sie aufzunehmen und in der glücklichen Lage sein zu können sie auch zu veröffentlichen. Sich weiter zu entwickeln und kreativ arbeiten zu können, das ist mein Antrieb. Du hast dein eigenes Label gegründet, ACT/Resist, hast aber gleich erklärt das du nicht daran interessiert bist, Platten von anderen Künstlern darauf zu veröffentlichen? Ja, zumindest nicht im Moment, aber das muß kein definitives Nein für die Zukunft sein. Interessierst dich eigentlich das aktuelle Musikgeschehen? Mmm, ja....ich würde sagen das etwa 25 % meines Verstandes für neue Musik reserviert ist (lacht). Aber ich höre auch sehr viel alte Musik, Blues, Ska, Reggae, Folk... Country momentan etwas weniger, Krautrock, alten Rock n' Roll..... Welchen Songwriter schätzt du eigentlich am meisten für das was er geleistet hat? Dylan, John Lennon.... Eine knappe Woche später treffen wir uns wieder, in der "Rätsche" zu Geislingen. Wir haben Jay versprochen teilweise auf dieser Tour das Merchandising zu machen. Für Jay, der nur zusammen mit Mark Spencer in sparsamster Besetzung durch Europa tourt, eine willkommene Hilfe. Ein herzliches Hallo, auch die Leute von Shilf sind wieder dabei, die den Support in Deutschland machen. Auch hier nur lobende Worte über den Mann, der manchmal etwas verloren wirkte. Ein schönes Erlebnis diesen großartigen Songwriter etwas näher kennenlernen zu dürfen.... by Road Tracks |