Aus der ZEIT vom (irgendwann im Sept/Okt 97) Die Countryrockband Hazeldine verbirgt die Dinge unter ihrem Gegenteil Die Bienenköniginnen der Nacht Die Vögel ziehen, der Kanzler wird alt. Die Schneefallgrenze sinkt. In der Kaufhalle sammeln sich Stollen und Printen. Höchste Zeit für die 97er Rangliste hangewerkter Amerika-Musik. Platz 5: Blue Mountain: "Homegrown", Platz 4: Bob Dylan: "Time Out Of Mind", Platz 3: Buddy Miller: "Poison Love", Platz 2 Guy Clark: "Keepers". Im Sommer langte eine dunkle, wundersame Platte an: "How Bees Fly" von Hazeldine, einer Frauenband aus Albuquerque/New Mexico. Die Vorderseite zeigt ein Wüstenpanorama, schwarzweiß, penetrant nachkoloriert. Eine häßliche CD. Dann beginnt die Musik. Sanfte Schlegel klöppeln weiches Fell. Der Baß tritt ruhig ein, gefolgt von zwei Gitarren, die elegische Akkorde wie Monde in den Rhythmus hängen. Und dann geht die Stimme auf, klar und traurig wie die Königin der Nacht: "I can fly / I know that's why you loved me / I made you wings / stolen from the idol tree / If you fly into the sun / hold on to me / I can fly / I know that's why you left me". Der Brandenburger Domorganist Mathias Passauer hat mal erzählt, wie er sich vor seiner ersten Rundfunk- aufnahme gefürchtet habe. Sogar nachts drangen Verkehrsgeräusche in den Dom, so daß ein sauberer Mitschnitt unmöglich schien. Doch als Passauer zu spielen begann, erfüllte die Orgel das mächtige Schiff bis in den letzten Winkel mit dem Corpus ihres Klangs. Selbst während leisester Passagen konnte sich kein äußerlicher Ton in die Halle stehlen. So funktioniert "How Bees Fly". Man weiß während dieser von keiner anderen Musik. Sie scheint und schimmert; jeder ton hält seinen Hof. Dann braust sie auf mit rostigen Neil-Young-Gitarren, und die Stimmen - längst sind es zwei, in eins geschlungen - packen zu: "You come back to me / trun off my TV / hold me close / and kiss me low / and fuck me like Batman". Der Markt katalogisiert Hazeldine unter Alternative Country. Derzeit ist Wurzelmusik das große Ding im US-Pop. Der Boom wird vergehen, um zurückzukommen, wie immer wieder seit Gram Parsons und den Byrds. Die Band sei mehr alternative als Country, sagt Schlagzeuger Jeffrey Richards, der auf Vic Chesnutts "West Of Rome" getrommelt hat. Sie alle hätten sich musikalisch schon ziemlich rumgetrieben. Tonya Lamm, die etwas herbere der beiden Hazeldine-Sirenen, erzählt, wie sie mit dreizehn auf dem Bett lag, Pot rauchte und "Close To The Edge" von Yes inhalierte. Das war daheim in North Carolina, sagt Tonya. Überall dudelte Country-music. Country hieß für mich: alte Leute, Dummärsche, rednecks. Als ich dann aufs College kam und ganz verschiedene Musik hörte, merkte ich, daß ich Country machte, besonders alte Sachen, Hillbilly, Fiddle, Bluegrass, die Appalachenmusik. Du hättest mich vor fünf, sechs Jahren hören sollen, sagt Shawn Barton, Tonyas Sangesschwester. Ich wollt die Leute schockieren. Jetzt will ich erwachsene Musik. Alles soll natürlich fließen, damit, wer uns hört, sich darin spiegeln kann. Shawn stammt aus Jacksonville/Florida, die Bassistin Anne Tkach aus St. Louis/ Missourie, Jeffreys Vater war Bomberpilot in Vietnam und mißbilligte die zuchtlosen Vorlieben des Sohns auf die förder- lichste Weise. Jeffrey saß nachts unter seinem Jim-Morrison-Poster am Radio und träumte davon, Musik zu machen für Leute, die nachts am Radio sitzen. Und daß man ihn lieben werde aus denselben Gründen, wie er liebte. Was ist die Wüste? Ein Platz, wo du dich findest, sagt Tonya. Die Wüste formt die Songs, aber sie stammen von überall. Wir spielen keinen Wüstenrock. Wir singen nicht über Kakteen und daß Albuquerque ein gefährlicher Ort ist, wo es dein Leben kosten kann, wenn du einem einen Vogel zeigst. Wir singen nicht über Waffen. Ich will nich daran denken, wenn ich nachts im Bett liege und die Schüsse höre. Wir singen von uns, von Trennungen, Sehnsüchten, Distanzen, und was wir singen, nageln wir nicht fest. Habt ihr was dagegen, wenn ich "How Bees Fly" jetzt schon zur Platte des Jahres 1997 erkläre? Nein! Nie! Exzellente Idee! Aber wie weiter? Die Platte ist emotional vollkommen. Jetzt beginnt euer Abstieg. Columbus, erklärt Jeffrey gütig, unternahm, bevor er Amerika entdeckte, eine Fahrt zu den Madeira- Inseln. Er fand sie leer. Die Reise war perfekt, ein kompletter Erfolg, aber Columbus hatte damit nicht aufgehört, Dinge zu entdecken. Dann müssen Hazeldine auf die Bühne, nur Shawn bummelt ein bißchen. Woran glaubst du am meisten, Shawn, und woran am wenigsten? Am wenigsten an Konformität, sagt Shawn. Ich begreife nicht, warum die Menschen so verzweifelt ver- suchen, einander ähnlich zu sein. Shawn! Shaaawn! Wir müssen anfangen! Vielleicht spielen Hazeldine so langsam, damit sie keine Fehler machen. Vielleicht ist dies sogar ein schlechtes Konzert. "Bastard Son Of Medora" haben sie irgenwie verhauen, so daß Shawn zickt, sie wolle den Song wiederholen. Die drei anderen lehnen ab - mit Recht: Dem Song hat nichts gefehlt: Die Musik ist unzerstörlich wie die Zeit. Zweihundert Betörte füllen den Ostberliner Knaack-Club mit Leder und blauem Dunst, durch den die zartbitteren Weibergitarren sägen. Mann lauscht und lebt. Man gleitet in lethargische Passionen, die Leidlust der fallenden Harmonie. Man trinkt und sinkt mit. "You have a camera / please take a picture / and write on the backside / what you are dreamin'" Hazeldine singen das Bild und spielen die Schrift. Der Sturz ist ihr Netz. Sie verbergen die Dinge unter ihrem Gegenteil. Dort sind sie geschützt und zu finden. Du wolltest wissen, woran ich am meisten glaube, sagt Shawn. Wirschauen zur Bühne, wo inzwischen Smog herrscht, ein introvertiert nölendes Existentialisten-Trio aus Kalifornien, das aber seinem Namen Ehre macht. Freundlichkeit, sagt Shawn. Freundlichkeit rettet die Welt. I'm a sucher for kindness. Ich glaube, was du in die Welt gibst, kommt zurück. Aber manchmal wirst du so überwältigt von Liebe und wehrst dich und verblödest dich selbst mit Drogen und Alkohol und schlechten Beziehungen. Immer wach sein, immer offen ... - man muß auch mal Pause machen. Smog quengeln weiter. He, sagt Shawn, an was glaubst du am meisten? Wäre Gott eine Ausrede? Darum hab' ich ja nicht Gott gesagt. Die erwähnten Platten sind erhältlich über: Chill Music, Scheeren 12, 28865 Lilienthal, oder: Glitterhouse, Grüner Weg 25, 37688 Beverungen, oder: Taxim, Am Dobben 3, 27330 Asendorf. Christoph Dieckmann