von Wolfgang Doebeling (German Rolling Stone, Februar, 1997)
"CHAINED UPON THE FACE OF TIME
FEELING FULL OF FOOLISH RHYME
AIN'T NO DARK TILL SOMETHING SHINES
I'M BOUND TO LEAVE THIS DARK BEHIND."
Townes van Zandt
AUS HEITEREM HIMMEL KAM DIE Nachricht von Townes' Tod nicht. Zu oft war sein Lebensmut auf die Probe gestellt worden, zu ausgezehrt sein Körper. Als ich Townes im November zum letztenmal umarmte, war er nur noch Haut und Knochen, all heart and soul. Er hatte seine Freunde nicht im Unklaren gelassen über sein mähliches Sterben, hatte unvorbereitet, uns beizeiten das Herz schwergemacht, schon vorab Trost gespendet und so dem Schmerz den Stachel gezogen.
Die dunklen Vorahnungen, die ihn so viele Jahre heimgesucht hatten, verdichteten sich immer mehr zur Gewißheit, gespeist aus Depressionen und medizinischen Prognosen. Eine Gewißheit, an die Townes sich klammerte und an der er nicht rütteln ließ. Zwei Jahre habe er noch zu leben, eröffnete er mir letzten Sommer, meine hilflosen Beschwichtigungsformeln wischte er beiseite. So dürfe er nicht reden, nicht einmal denken, sagte ich. Er müsse, meinte Townes und lächelte nachsichtig.
Der Tod als Vertrauter, als Erlöser aus dem Elend, das gemeinhin Leben genannt wird: Mit diesem Gedanken konnte sich Townes Van Zandt schon früh anfreunden, er barg für ihn keine Schrecken.
Unerträglicher war ihm oft die bloße Existenz.
"Bein' born is goin' blind and bowin' down a thousend times", schrieb er.
Das Dasein als Marter, nur unterbrochen von Momenten der Wahrheit, einem
Violinenkonzert von Mozart oder den tiefblauen Augen seiner kleinen Tochter
Katie Belle. Dann, oft nachts, das als sinnlos empfundene Sinnieren und
das Sehnen nach dem Luftzug, der die Flamme löscht am Ende des unwirtlichen,
gefürchteten Tunnels, "All born to grow and grown to die." Dafür
brauchte Townes keine Krücken, keine Heilserwartung, überhaupt
keine religiöse Duselei. Als Hoffnungsschimmer war ihm jenes Nichts
genug, das er zu kennen glaubte, das er herausforderte, mit dem er eins
zu werden versuchte, by and by.
Nein, eilig hatte er es damit nicht. Townes Van Zandt
war viel zu sehr Spieler, um ganz vom Leben zu lassen, immer volles Risiko,
ohne Rücksicht auf Verluste. "I guess I keep agamblin', lotsa booze
and lotsa ramblin'", ließ er uns in seinem ersten ernstgemeinten
Song wissen: "Waitin' Around To Die". Da war Townes Van Zandt noch keine
18 Jahre alt.
Vor knapp zehn Jahren, ich hatte ihn nach Berlin eingeladen und nur fünf Minuten aus den Augen gelassen, verlor er beim Würfeln alles Geld und seinen Mantel. Im Hemd stand er da, vor Kälte zitternd, die zerschlissenen Stiefel nur deshalb noch an den Füßen, weil man sie als Einsatz verschmäht hatte. Townes war todmüde, litt unter Jetlag und war kurz davor zum Vergnügen umstehender Voyeure unter einen Tisch gerutscht, da ich beim Wodka-Zählen den Überblick verloren hatte, während sein alter Busenkumpel Guy Clark von der Bühne nebenan - welch Ironie - den Van Zandt-Song "No Deal" zum besten gab. Townes hatte dafür keine Ohren, seine Augen glänzten fiebrig. Er bat um meinen Mantel, mit dem er in Richtung Theke verschwand, ohne ihn allerdings anzuziehen. Das hätte mir zu denken geben müssen, aber naiv wie ich war, verstrichen wertvolle Sekunden, bis ich begriff. Zu spät. Ich kaufte das ganze Zeug zurück und wachte fortan mit Argusaugen über diesen Mann, dessen Fan ich doch war und dessen magische, tragische Songs mir so lange schon so viel bedeutet hatten. Jener Abend versetzte mir einen Stich, der bis heute wehtut, obwohl ich in den folgenden Jahren weit Absurderes und Ängstigenderes mit Townes durchlebt habe. Es war eine Art perverser Initiationsritus für unsere Freundschaft. Wie hatte anderntags schelmisch grinsend gelobt: "Wolf, as watchdog go, you're a damn fine one."
Well, as poets go, Townes was the best. Und er war ein aufmerksamer Zuhörer mit dem Gedächtnis eines Elefanten, wenn es ums Menschliche ging, um Freuden und Nöte. Oder einfach nur um gemeinsam Erlebtes. Mit Townes an der Seite nahmen die profansten Verrichtungen einen tieferen Sinn an, weil er es liebte, ihre Sinnwidrigkeit zu verhöhnen, mit dem ihm eigenen sanften Sarkasmus. Ob Uhrenkauf beim Juwelier, Eisenbahnfahrten in England oder Roomservice in Oslo, Townes fand den Irrwitz in jeder Situation. Was haben wir gelacht. Und geweint.
Und doch war er meist allein, als Hillbilly-Eremit in seiner Berghütte und in umtriebiger Gesellschaft. Als Student in Colorado (Philosophie und Literatur, was sonst) pflegte er sich mit nagender Neugier durch ganze Bücherberge zu fressen und verließ tagelang nicht sein Zimmer, um die angelesene Weisheit alsdann radikal an der realen Welt zu messen. Die berühmteste Geschichte aus seinen Tagen als existentialistischer Desperado ist jene, an die er sich später nicht mehr erinnern konnte oder mochte, für die es aber Augenzeugen gibt: Townes Vanz Zandt sitzt, die obligatorische Flasche im Arm, auf seiner Balkonbrüstung und kippelt so lange nach hinten, bis er endlich die Balance verliert und stürzt. Nur diesen einen Augenblick habe er auskosten wollen, erklärt er Jahre später, an dem es keine Zurück mehr geben konnte, von wo an es unweigerlich nach unten gehen mußte. Townes fällt vier Stockwerke tief, kracht auf den Rücken, die Leute kreischen. Aufprall und Geschrei bleiben tief in seinem Gedächtnis eingebrannt, der Rest geht ihm im Laufe der Zeit verloren wie ein Großteil seiner Kindheit und Jugenjahre. Townes bleibt kurz benommen liegen und erhebt sich unverletzt, im Arm noch die unversehrte, halbvolle Flasche.
So manches Mal sprang Townes Van Zandt dem Tod von der Schippe. Und hat sich schließlich ins Grab gesoffen. Es mag dafür pietätvollere Umschreibungen geben, doch ist damit niemandem mehr geholfen. Seine Malaisen und Gebrechen hatten diese eine Wurzel. Der Raubbau, den Townes jahrzehntelang mit seinen Ressourcen getrieben hat, forderte seinen letzten Tribut. Ein Blutgerinsel war es schließlich, das ihn vollends zum Stillstand brachte, wenn man offiziösen Verlautbarungen glauben möchte.
Daß der Tag, an dem Townes sein Jammertal verließ, ein 1. Januar war, jenes Datum mithin, an dem auch Hank Williams einst das Zeitliche gesegnet hatte, wird die Mythenbildung begünstigen. Nicht einmal eine Woche nach seinem Tod wird er bereits allenthalben auf eine Weise verklärt, die ihm zutiefst zuwider wäre. Schon Steve Earles berüchtigter Spruch, wonach Townes der Welt bester Songwriter sei und somit besser als Bob Dylan, war dem Gepriesenen peinlich, fast so sehr wie die Wertschätzung des Kollegen Mickey Newbury, der Townes gar über Hank senior stellte. Townes hatte einen Höllenrespekt vor Dylan, und Hanks Songs hat er geliebt wie sonst nur Lightnin' Hopkins, seinen Lehrmeister, und die Rolling Stones.
Vier Wochen vor seinem Tod telefonierte ich zum letztenmal mit Townes, machte ihm Vorhaltungen. Wo denn die Top-Ten-Liste seiner Liebling-LPs bleibe, fragt ich. "You got it", sagte Townes. Am nächsten Tag kam sein Fax (siehe unten). Haltung war ungeheuer wichtig für ihn, dazu gehörte das Einhalten von Zusagen wie das jeweils menschenmögliche Maß an Würde bei Auftritten, oft genug im Angesicht des Abgrunds.
Nur nicht gehenlassen. Aufstehen, sich zu ein paar Bissen zwingen, rein in den Van, kilometerfressen, einchecken, soundchecken, dann die Performance, der warme Regen. "Living on the road my friend/Was gonna keep you free and clean". Townes brauchte diese Tour-Maloche, das Gefühle-Tanken, die allabendliche Rückversicherung.
Nicht wenigen seiner Bewunderer war dieses Aufbäumen auf der Bühne zu echt, der Blues zu authentisch, das Leiden zu nah. Townes wußte das, aber anders konnte er nicht. "Look after yourself", hatte ich ihm Ende November wie so oft nachgerufen. Ja, genau. Wie man einem Ertrinkenden empfiehlt, einen Schwimmkurs zu belegen.
Townes Van Zandt hatte noch Pläne, war verliebt. In Memphis hatte er neue Songs aufgenommen, störrisch und stolz, bis ihn die Schmerzen übermannten. Im Hospital wurde ihm die Hüfte genagelt, er wollte es noch einmal wissen, für Will und Katie-Belle. Es kam anders. "The end is coming soon it's plain/ A warm bed just ain't worth the pain/ And I will go and you'll remain/ With the bitterness we tasted."
Du wirst mir fehlen, Townes. And I won't forget to put roses on your grave.
FAVE RAVES Townes Van Zandt
Engültig: die meistgeliebten LPs des Poeten Townes van Zandt
1. The Rolling Stones "Sticky Fingers"
2. Bob Dylan "Blonde On Blonde"
3. Hank Williams "Honky Tonkin'"
4. Lightnin' Hopkins "Bad things on my mind"
5. Willie Nelson "Shotgun Willie"
6. Muddy Waters "Hard again"
7. Elvis Presley "Elvis"
8. Robert Johnson "King of the Delta Blues Singers"
9. Guy Clark "Old No. 1"
10. Bill Monroe "The High Lonesome Sound"
Townes van Zandt
Highway Kind
Der Nachlaß, erster Teil. Townes Van Zandts allerletzte Aufnahmen, wenige Tage vor seinem Tod mit diversen Sonic-Jugendlichen in Memphis auf Band gebannt, werden wohl kaum veröffentlicht werden, zumindest nicht vorläufig. Da nur vier oder fünf Vocal Tracks fertiggestellt wurden und der Auftraggeber der Sessions, Geffen Records, unterhalb der Schwelle ines kompletten, ausproduzierten Albums gar nicht erst in die Gänge kommt, wird Van Zandts Unvollendete entweder so in die Annalen eingehen oder irgendwann in ferner Zukunft als Teil einer Compilation schmerzlich in Erinnerung zurückrufen, daß sein fortschreitender körperlicher Verfall keineswegs Geist und Seele angegriffen hatte. Wahr ist, da´das nahende Ende ungeahnte Reserven mobilisierte und sich Townes eine Selbstdisziplin auferlegte, die einen jungen, gesunden Mann gefordert hätte. Ende letzten Jahres entstanden in einem kleinen Studio in Austin so noch einmal krude, beklemmende Versionen einiger seiner besten Songs, die oft intensiver noch sind als die vertrauten Originale. So weit die Vorschau auf künftige Nachlaßverwertungen.
Die Tracks auf "Highway Kind" sind also mitnichten ein letztes Vermächtnis. Live im Studio, in Wohnzimmern und vor Publikum aufgenommen und ohne schlüssiges Konzept zusammengestellt, bieten sie nichtsdestotrotz einen Repertoire-Querschnitt, der sich von den zahlreichen bekannten substantiell unterscheidet. Townes-Fans werden eh entauchen und nicht so schnell wieder luftholen, doch auch für den Uninitiierten ist hier genug Stoff, um zum Tagträumer zu werden und nachts keinen Schlaf zu finden.
Die beißenden, spöttischen, bitteren, immer beunruhigenden Songs finden in Townes' letzhin fragiler und nicht selten torkelnder Stimmlage eine merkwürdige, morbide Korrespondenz, die den Inhalt eher vertieft als verschleiert. Jener Teil seines Publikum, der eine konzentrierte Performance erwartete, beherzten Gesang und beherrschtes Picking einforderte, lag ohnehin falsch, verstand nicht, worum es in dieser Lyrik geht, die den Vortrag transzendiert und nicht angewiesen ist auf die Tagesform des Verfassers. Und so hat die bleierne Ödnis und das barmende Verlangen des Titelsongs gerade hier eine Heimat, uneben und karg. Und "The Hole", dieser Seelentrip in die ewige Finsternis, der nur in Leonard Cohens "Dress Rehearsal Rag" seinesgleichen hat, ist hier schwärzer noch und auswegloser als die über Gebühr arrangierte Studiofassung.
Nicht alles auf "Highway Kind" geht so nahe. "Banks Of The Ohio", ein Traditional, das Townes zeit seines Lebens liebte, wird hier von ihm launsich veralbert und andere Wan Zandt-Favoriten wie "Blaze's Blues" kennt man inniger, bestimmter. Auf "At My Window" darf ein in Österreich bekannter Mundart-Rocker, so hat man mich aufgeklärt, einen Vers im Austria-Dialekt beisteuern. Bizarr, to put it mildly. Erinnert mich an Doug Sahm, der mir neulich in Austin, Texas über den Weg lief und in seiner heiseren Überschwenglichkeit von einem Coup zu berichten wußte, der seine Karriere "in good old Germany" mächtig in Schwung bringen würde. Der aktuelle Radio-Hit von seinen Texas Tornados werde von keinem geringeren gecovert, so der gut Doug stolz, als von Wolfgang Petry, "your greatest rockstar". Truth is stranger than fiction. Doch ich schweife ab.
Das Rückgrat von "Highway Kind" bilden drei Country-Classics aus den 40er Jahren, die der Feder von Townes entsprungen sein könnten und belegen, wie ungebrochen er die Tradtition seiner Vorbilder fortgesetzt hat: "Wreck On The Highway", jener Whiskey-und-Blut-Tearjerker, den einst Roy Acuff gehult hatte, Hank Williams' "Lonesome Whistle" und Leon Paynes "Lost Highway", mit dem das Album eröffnet: "I'm a rollin' stone, all alone and lost/ For a life of sin, I've paid the cost." Eine fremde Erkenntnis, die Townes nach Kräften mit Leben füllte und zur ureigenen machte, nicht ohne Reue, aber ohne Larmoyanz, und die er schließlich für "Still Lookin' For You" in eigene Worte goß: "There ain't much that I ain't tried/ Fast living, slow suicide."
Wolfgang Doebeling (Rolling Stone)