Cowboys in Rente

Mit "New Twang" kontern Country-Musiker 
den Schmalz aus der Schlagerfabrik 

von Carl Ludwig Reichert

Aus der Münchner Abendzeitung v. 09.06.2000

Früher war alles einfacher: Es gab Cowboys und Indianer und die 
Cowboys gewannen und sangen abends am Lagerfeuer das Lied vom rührseligen Cowboy, das einer namens Donald Duck geschrieben hatte: ,,Und lieg ich der einst auf der Bahre, dann denkt an meine Gu-i-tah-re..."  Man nannte das Country & Western. Doch die Lieblingsmusik Amerikas hat sich inzwischen schwer verändert.

Die neue Musik aus der Country-Metropole Nashville rockt,  rollt und schmalzt immer schlagerfabrikmäßiger. Spätestens seit populäre Gestalten wie Shania Twain oder Garth Brooks, der schon mal am Drahtseil in eine Arena einschwebt, das Geschäft des Hot New Country dominierten, herrschte Definitionsbedarf.

Ein Schlauberger erfand auch gleich einen Oberbegriff für alles, was sich jenseits von Nashville abspielt, aber seine Wurzeln in der amerikanischen Folklore hat: Americana. Damit war zumindest einmal ein weites Feld eröffnet, auf dem sofort allerlei seltsame Pflänzchen blühten. Gruppen mit verwegenen Namen wie The Volo Bogtrotters, Billy Bacon And The Forbidden Pigs, The Red Dirt Rangers oder The Hickoids gewannen hier Heimatrecht .

Allerdings teilte man die  Americana  ganz schnell in viele neue 
Parzellen auf, wie das seit den Zeiten der Goldsucher der Brauch war. Eine der ersten war jene Richtung, die man als Cowpunk bezeichnete, ein  hybrides Gewächs aus Country und Punk? das in den Achtzigerjahren entstand, sie aber nicht überlebte, ähnlich wie Grange Rock, den die Grunge-infizierten Country-Musiker rund um Seattle pflegten.

Eine gröbere Krempe hatte da schon der neue Hut des Insurgent Country. Diese Richtung, die Gruppen wie die Waco Brothers oder Pinetop Seven prägten, kam aus dem Umfeld der rührseligen Plattenfirma Bloodshot Records in Chicago und fand bald weitergehende Akzeptanz.

Dabei spielten engagierte Radio-Macher in den USA, England, Skandinavien und Deutschland sowie das Internet ein nicht geringe Rolle. Es kamen außerdem Psychobilly und Punkgrass, Lo-Fi-Country, New Grass, Gothic Country und White Trash Parody, um nur einige zu nennen.

Sie alle und noch mehr sind ausführlich beschrieben im Grundlagenwerk von David Goodman, betitelt "Modern Twang" (400 Seiten, 47.70 Mark über www.amazon.de). In dieser gründlich recherchierten Bibel des "Alternative Country", wie der Verfasser die Gesamtbewegung am liebsten nennt, findet sich so ziemlich alles, was sich seit der Outlaw-Bewegung der Siebzigerjahre einen Namen gemacht hat, also seit Willie Nelson, Waylon Jennings, David Allan Coe, Guy Clark, Jerry Jeff Walker, Johnny Paycheck oder Kinky Friedman. Wer in der logischen Wurzelsuche noch weiter zurückgehen will, wird bei den Americana fündig werden, die die ganze Tradition erfassen, auch Blues, Folk und frühen Rock seit Bob Dylan.

Und wer versucht, sich über die aktuellen Entwicklungen zu nformieren, muss sogar schon wieder über Goodmans Buch hinaus vor allem das Internet befragen. Denn selbst hier fehlen neue Namen wie Ramsay Midwood oder die Tarbox Ramblers. Dafür sind Interpreten wie der Country-Gothvater Johnny Dowd oder die Grain-Belt-Rocker von Nadine vertreten und sogar die ,,Pornobillies", Buck Naked And The Bare Bottom Boys. Im Netz wird man fündig bei www.insurgentcountry.de.

Seitenbetreiber ist Hans Settler aus Marburg, ein großer Kenner der 
Materie. Von hier kann man dann unzähligen Querverweisen folgen und auch Goodman listet eine Unzahl von Links auf, bis es auch hierzulande twängt, hill- und citybilliet, dürfte nicht mehr lang dauern, zugkräftige Namen für Konzerte und Festivals gibt es genug von Allison Krauss bis Steve Earle, von den Walkabouts über Vic Chesnutt bis zu Los Lobos.

Wer immer sich in letzter Zeit verzweifelt gefragt hat, wo gute 
Country-Musik geblieben sei, findet hier die Antwort: im Reich der 
Americana, in der Sektion Modern Twäng.

Carl-Ludwig Reichert